Napoleon sprach gut deutsch – dramatische Tage im Kinzigtal

ImageDer Januar-Vortrag beim Heimat- und Geschichtsverein Wächtersbach über Leben und Wirken des Franzosenkaisers fand am 18.2. eine ebenso bemerkenswerte Fortsetzung mit dem Bericht des Historikers Tobias Picard (Hanau-Großauheim) über den Rückzug der in der Völkerschlacht bei Leipzig (16.€“19. Okt. 1813) geschlagenen Franzosen durch das Kinzigtal. Anschaulich und mit vielen historischen Bildern stellte der Referent dar, wel-che dramatischen Ereignisse mit dem Marsch der demoralisierten und in Auflösung be-griffenen Armee durch unsere engere Heimat verbunden waren. Aber auch die Vorge-schichte sowie die mit diesem Geschehen verbundenen politischen Hintergründe und Folgen wurden den etwa 80 Gästen des Abends in der Aula der Friedrich-August-Genth-Schule verdeutlicht.

Die besiegten Franzosen flüchteten in Richtung Rhein und benutzten die auch durch das Kinzigtal führende, als "des Reiches Straße" bekannte Verbindung zwischen Leipzig und Frankfurt/Main. Am 28. Oktober 1813 trafen die ersten Truppen in Schlüchtern ein. Napo-leon fand Quartier im Kloster. Hier unterhielt er sich auch längere Zeit mit einem Lehrer. Dieser berichtete später, dass der Kaiser recht gut deutsch sprach. Bald darauf standen die Franzosen dann vor Gelnhausen. Aber auch die Verbündeten waren nicht untätig. Vornehmlich kleinere Kosaken-Einheiten versuchten durch blitzartige überfälle von den Flanken her den Rückzug zu stören und zu verzögern. Als Beispiel nannte der Referent Angriffe in Salmünster und bei Ahl. Auch die bayerische Armee unter General Graf Wrede war inzwischen im Anmarsch und bezog Stellung bei Hanau, um hier den Franzosen den Weg zum Rhein zu sperren. Froh darüber, dass der gefährliche Engpass bei Wirtheim frei war und ungehindert passiert werden konnte, musste Napoleon aber bei Höchst zunächst die teilweise zerstörte Kinzigbrücke reparieren lassen, um den Weitermarsch zu ermögli-chen. Besonderes Interesse der Vortragsgäste fand eine Zeichnung dieses Vorgangs, die damals von einem französischen Ingenieur gefertigt wurde. Sie zeigt die sich vor der Brücke stauenden Heeresverbände, dazu auch, wie Napoleon hoch zu Pferd auf einem Hügel diesen Vorgang überwacht. Bei den Kämpfen um Gelnhausen fiel vor dem Burgtor der erst 18jährige Wilhelm Reinhard Freiherr von Massenbach, Leutnant bei den "Preußi-schen Garde-Kosaken". Sein eindrucksvolles Grabkreuz aus weißem Marmor, das in der Werkstatt des berühmten Berliner Bildhauers Gottfried Schadow gefertigt wurde (er schuf u.a. die Quadriga auf dem Brandenburger Tor), steht noch heute auf dem Friedhof in Gelnhausen. Es kündet vom unheilvollen Geschehen jener Tage, bei dem nicht nur zahl-reiche Soldaten zu Tode kamen, sondern weitaus größere Verluste bei der Bevölkerung durch eingeschleppte Seuchen (Typhus, Fleckfieber) zu beklagen waren. überall entlang der Rückzugslinie lagen tote Soldaten und Pferde, suchten Kranke und Verwundete Un-terkunft und Verpflegung, Plünderer trieben ihr Unwesen, Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung. So berichtete Picard z.B. dass in Aufenau 97 Menschen ums Leben kamen. In Wirtheim wurden in einem Massengrab 27 Ortsansässige und 67 Franzosen bestattet. Am 30. und 31. Oktober kam es schließlich bei Hanau zur Schlacht zwischen den bayerischen Truppen Wredes und den Franzosen, bei der die Stadt arg in Mitleiden-schaft gezogen wurde und die Bayern hohe Verluste zu beklagen hatten. Napoleon konn-te nun als Sieger nach dieser seiner letzten Schlacht auf deutschem Boden mit den Res-ten seiner Armee ungehindert das damals französische Mainz erreichen. Damit gingen für das Kinzigtal vier dramatische Tage zu Ende, nicht aber Not und Elend in der Bevöl-kerung, die noch lange an den vielfältigen Folgen der Kriegshandlungen leiden musste. Tobias Picard hatte nach Ende seines bemerkenswerten Vortrags noch viele Fragen der Gäste zu beantworten. Der Vereinsvorsitzende Gerhard Jahn bedankte sich bei ihm mit einem Buchgeschenk und dem originalgetreuen Modell einer Kanone der napoleonischen Armee; diesem Dank schlossen sich die Gäste mit großem Beifall an.